Die gasfressende, arschtretende Brillanz des klassischen 90er-Jahre-Biker-Abenteuers „Full Throttle

Full Throttle ist kein Point-and-Click-Adventure: Es ist ein Point-and-Kick-Adventure. Der rockige Biker-Held Ben gehört nicht zu den mickrigen Adventure-Protagonisten, die ihren Verstand einsetzen, um Probleme zu lösen. Charaktere wie Guybrush Threepwood von Monkey Island, George Stobbart von Broken Sword und Bernard Bernoulli von Day of the Tentacle machen ihren Mangel an körperlichen Fähigkeiten dadurch wett, dass sie ihren Intellekt anstrengen und sich Rätseln auf geniale, ausgeklügelte und meist komisch absurde Weise nähern. Ben hingegen ist ein praktischer, handfester Typ. Er ist ein großer, stämmiger, straßenerprobter Biker mit einem Rahmen, der aussieht, als wäre er aus Eiche geschnitzt worden. Wenn ihm etwas in die Quere kommt, führt er es in seinen Stiefel ein.

Full Throttle ist ein klassisches LucasArts-Abenteuer aus den 90er Jahren, erdacht, geschrieben und gestaltet von Tim Schafer. Es war das erste Projekt, bei dem er federführend war, um genau zu sein. Es ist weniger rätselhaft als andere geliebte spitze, klickende Spiele dieser Zeit, dafür aber sehr actionreich, atmosphärisch und mit einprägsamen Charakteren. Wie es sich für Schafer gehört, mischt das Spiel Humor, Pathos und Genre-Geschichten mit großer Wirkung und spinnt ein fesselndes Garn, das Sie gleichzeitig zum Lachen bringt und Ihr Herz erwärmt. Ben ist ein harter Kerl, der Alkohol, Prügeleien, Straßenschlachten und das Terrorisieren von Autofahrern liebt, klar. Aber er hat auch ein Herz aus Gold. Die Bösewichte in Full Throttle sind nicht die Biker: Es sind die abgehalfterten Hemden des seelenlosen Unternehmens Amerika.

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Full Throttle kam 1995 für den PC auf den Markt – wohl die goldene Ära der Grafikadventures schlechthin. Schafers Skript wurde von Mad Max und Akira Kurosawa-Filmen inspiriert, während der Hauptzeichner Peter Chan sich von der schattenhaften, scherenschnittlastigen Kunst des Hellboy-Schöpfers Mike Mignola inspirieren ließ. Es war eine Traumkombination, und das Ergebnis ist eines der schärfsten, witzigsten und am besten aussehenden Spiele des Adventure-Genres. Schafer überzeugte LucasArts davon, das Projekt zu wagen, und es hat sich wirklich gelohnt. Normalerweise wurden von dieser Art von Spielen 100.000 Exemplare verkauft, aber Full Throttle verkaufte sich eine Million Mal. Es war ein echter Kassenschlager, was man sofort merkt, wenn der Bildschirm mit einem der aufregendsten Intros der Videospielgeschichte gefüllt wird.

Eine glänzende Firmenlimousine fährt über einen Wüstenhighway, bevor sie vom Dröhnen eines Dutzends verchromter, benzinschluckender Motorräder umringt wird. Legacy“ von The Gone Jackals – de facto der Titelsong des Spiels – ertönt, während Ben über die Limousine fährt und deren vergoldete Kühlerfigur zertrümmert, um klarzustellen, was er von dieser Art von schickem Lebensstil hält. Es ist eine wunderbar inszenierte Zwischensequenz und ein Meisterwerk der Szeneneinteilung und des Tonfalls. Man weiß sofort, was für ein Mensch Ben ist und wofür seine Gang, die Polecats, steht. Der dreckige Rock von The Gone Jackals (einer authentischen Biker-Band) wird durch die staubige, Western-angehauchte Musik von Peter McConnell, einem langjährigen Mitarbeiter von Schafer, hervorragend ergänzt.

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Einer der Insassen der schimmernden Schwebelimousine entpuppt sich als Malcolm Corley, CEO des letzten Motorradherstellers im Lande. Eine Reihe unglücklicher Ereignisse führt dazu, dass Ben und die Polecats für seinen Mord verantwortlich gemacht werden. Schlimmer noch, er erfährt, dass das Unternehmen die Motorradproduktion ganz aufgibt, um sich auf die Massenproduktion von Hover-Minivans zu konzentrieren. Für einen Biker ist das nicht nur eine Unannehmlichkeit, sondern das Ende eines Lebensstils. Das Ende der Welt. Eine fesselnde Prämisse, die wie alles in Full Throttle direkt mit der Tatsache verknüpft ist, dass es sich um ein Biker-Abenteuer handelt. Die größte existenzielle Bedrohung in dieser Geschichte ist nicht ein Geisterpirat, ein böser Zauberer oder eine finstere globale Verschwörung: es ist der Kapitalismus.

Full Throttle ist kein postapokalyptisches Spiel im eigentlichen Sinne, aber es fühlt sich an wie eines. Die karge Wüstenlandschaft, die langen Highways, die rivalisierenden Biker mit Irokesenschnitt und die allgemein melancholische, niederschmetternde Stimmung haben alle Merkmale des Genres. Die Gesellschaft ist nicht zusammengebrochen, aber wir befinden uns am Rande der so genannten „zivilisierten“ Welt. Ein raues, gefährliches, ölverschmiertes Reich von Geächteten, Kriminellen, Driftern und Gangs, die sich gegenseitig die Kettensägen schwingen. Es ist eine der lebendigsten und am reichsten gemalten Umgebungen in der LucasArts-Bibliothek (und das will schon etwas heißen), und ich ertappe mich oft dabei, dass ich das Spiel noch einmal durchspiele, nur um dort zu sein. Es gibt ein paar schöne ruhige Momente, in denen man den Ort in aller Ruhe erkunden und in sich aufnehmen kann.

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Full Throttle ist kurzlebig und die Rätsel sind nicht großartig, aber es macht diese Schwächen in jeder anderen Hinsicht wett. Die Sprachausgabe, das Skript, die Musik, die Hintergrundgrafik, die Charaktere, die Atmosphäre – alles erhaben und scheinbar immun gegen den Lauf der Zeit. Ich habe Full Throttle im Laufe der Jahre Dutzende Male gespielt, und es ist immer noch genauso unterhaltsam wie damals, als ich es ’95 zum ersten Mal unter DOS hochgefahren habe. Wenn du dir das hervorragende Remaster von 2017 zulegst, empfehle ich dir, mit der Originalgrafik und der überarbeiteten Sprachausgabe zu spielen. Die 4K-Paintovers von Double Fine sind wunderschön und liebevoll gestaltet, aber die Pixelgrafik der Originalversion ist immer noch unschlagbar. Außerdem lernt man hier eine wertvolle Lektion fürs Leben: Hast du ein Problem? Tritt es. Tritt es richtig fest.

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